Unternehmer sollten politisch in die Offensive gehen
16. August 2023, Béatrice Acklin Zimmermannn & Simon Michel
Nach der verlorenen Abstimmung über die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer im vergangenen Herbst klagte der damalige Bundesrat Ueli Maurer über das schwindende Verständnis in der Bevölkerung für wirtschaftliche Zusammenhänge. Ins gleiche Horn geblasen hatte zuvor schon Nestlé-Präsident Paul Bulcke, der es so formulierte: «Die Schweizer haben sich an den Wohlstand gewöhnt – und vergessen, was uns hierher gebracht hat.»
In der Tat hat das Vertrauen grosser Teile der Bevölkerung in die Wirtschaft in den letzten Jahren Risse bekommen. Vor allem grossen Unternehmen bläst seit längerem ein eisiger Wind entgegen. Das Scheibenschiessen wirtschaftsfeindlicher Kräfte auf Konzerne ist beliebt, obwohl diese rund einen Viertel der Arbeitsplätze in der Schweiz stellen und volkswirtschaftlich von grosser Bedeutung sind.
Auf Tuchfühlung gehen
Anstatt in den Klagechor über die zunehmende Entfremdung von Wirtschaft und Gesellschaft einzustimmen, täten Unternehmer und Unternehmerinnen nun aber gut daran, in die Offensive zu gehen und zu agieren, und nicht nur zu lamentieren. Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaft wiederzugewinnen, müssen die Unternehmer aktiv werden, im Sinne von: Hört die Signale der Bevölkerung! Wirtschaftsvertreter sollten die – im Abstimmungsverhalten ersichtlichen – Warnzeichen der Bevölkerung und deren «Fremdeln» mit der globalisierten Wirtschaft ernst nehmen. Ein grosser Teil der Bevölkerung nimmt den Firmen offenbar nicht (mehr) ab, dass sie sich auch in Schwellen- und Entwicklungsländern anständig verhalten.
In den Köpfen vieler Schweizer kollidiert das Bild vom guten Patron, der sich an Unternehmenswerten orientiert, mit dem Bild des Managers, dem es gleichgültig ist, ob er seine Jogging-Runden am Vierwaldstättersee oder in Singapur dreht. Anstatt lange wegzuschauen, um dann plötzlich – wie bei der Abstimmung über die KVI – nervös zu werden, eine Drohkulisse hochzufahren und anschliessend zu lamentieren, sollten sich Wirtschaftsvertreter dem Unbehagen in der Bevölkerung stellen.
Es ist somit erforderlich, dass Unternehmer auf Tuchfühlung gehen mit der Bevölkerung. So mancher Wirtschaftsführer scheint vergessen zu haben, dass in der direkten Demokratie ein guter Draht zum Volk – trotz Globalisierung – entscheidend ist und es nicht genügt, wenn man das Gespräch mit der Bevölkerung erst nach einem Skandal oder vor einer delikaten Abstimmung sucht.
Anstatt sich in eine abstrakte Wirtschaftssprache zu flüchten, die niemand mehr versteht, sollten es Firmenchefs den Sportlern gleichtun und Geschichten erzählen: von ihren Träumen und Abenteuern, von ihren Höhen und Tiefen, von ihrer Kreativität und der Passion für ihr Unternehmen. Anstatt sich in trockene Statistiken zu flüchten, sollten Unternehmer auf Podien, in Talkrunden und in Vereinsversammlungen vermehrt Red und Antwort stehen und erklären, dass Wirtschaft nichts Abstraktes ist, dass wir alle Teil der Wirtschaft sind – sei es als Konsumentin, Produzent, Dienstleisterin, Arbeitgeber oder Investorin.
Unternehmer sollten ökonomische Aufklärung betreiben und den Leuten erklären, dass es ohne kluge Köpfe in den Entwicklungsabteilungen keine innovativen Produkte gibt und ohne Arbeitgeber, die das unternehmerische Risiko übernehmen, soziale Marktwirtschaft nicht funktioniert. In der politischen Landschaft der Schweiz ist der Unternehmer, der sich auch ausserhalb des Werkgeländes seiner politischen Verantwortung stellt, nun einmal glaubwürdiger, und das Gewicht seiner Stimme zu finanz- und wirtschaftspolitischen Themen wiegt nun einmal schwerer als dasjenige von aussenstehenden Dritten.
Ethische Debatten nicht scheuen
Wichtig ist dabei, dass die Wirtschaft endlich auch in die ethische Offensive geht. Gerade Volksabstimmungen sind zunehmend moralisch aufgeladen, und wirtschaftsskeptische Akteure werfen gezielt ethische Argumente in die politische Waagschale. Die Wirtschaft aber hat bisher auf ethische Argumente vorwiegend defensiv reagiert. Anstatt die Deutungshoheit über wirtschaftsethische Fragen wirtschaftsskeptischen Akteuren zu überlassen, sollten Firmenchefinnen und CEO in der Auseinandersetzung über wirtschaftsethische Fragen nicht als Gegner, sondern als Partner auftreten.
Sie sollten erklären, weshalb sie etwas tun oder nicht tun und darlegen, weshalb etwas trotz politischen Vorbehalten ethisch nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sein kann; zum Beispiel mit schwierigen Ländern wie China Geschäfte zu machen: weil Konzerne aufgrund ihrer langen Präsenz in einem Land mit kontinuierlichen Verbesserungen oftmals mehr erreichen können als jede staatliche Entwicklungshilfe oder das Wirken von NGO.
Ob es die Wirtschaft schafft, mit ihrer Botschaft «Der Schweiz geht es gut, wenn es der Wirtschaft gutgeht» bis zum Volk durchzudringen und dessen Vertrauen zurückzugewinnen, wird nicht unwesentlich davon abhängen, ob Wirtschaftsführer gewillt sind, ihrer Verantwortung auch ausserhalb des Werkgeländes wieder vermehrt nachzukommen.
Béatrice Acklin Zimmermann ist Geschäftsführerin des Think-Tanks Liberethica; Simon Michel ist CEO der Ypsomed-Gruppe.
Das Vertrauen in die Wirtschaft hat in der Bevölkerung stark abgenommen. Wirtschaftsskeptische Kreise haben mit Vorwürfen und Anschuldigungen ein leichtes Spiel, weil Unternehmer zumeist in der Defensive bleiben. Das muss sich ändern.