«Ich sehe mich als Vorbild für Jüngere»
20. September 2024, Die Weltwoche, Marcel Odermatt
Simon Michel ist in kürzester Zeit in die erste Reihe der Schweizer Politik vorgestossen. Der Solothurner FDP-Nationalrat rät seiner Partei zur Zusammenarbeit mit der SVP. Ausser in der Europapolitik. Da sucht der erfolgreiche Unternehmer die Nähe Brüssels.
Bild-Quelle: Caspar Martig
Ab und zu gab es Frust und Verzweiflung, aber es gab auch viele Höhepunkte in den letzten vierzig Jahren», rief Firmenchef Simon Michel Ende August den 3500 Gästen am Firmenjubiläum der Ypsomed auf dem Attisholz-Areal im solothurnischen Riedholz zu. Die Aussage des 47-Jährigen, der einen Master in Medien- und Kommunikationsmanagement hat, brachte manchen Mitarbeiter des Medizintechnikkonzerns zum Schmunzeln. Denn das Unternehmen steht glänzend da. Ypsomed ist Weltmarktführer für Injektionssysteme. Die kugelschreiberähnlichen Geräte, mit denen sich Patientinnen und Patienten Medikamente selbst verabreichen, machen den grössten Teil des Umsatzes von 548 Millionen Franken aus.
Wo General Guisan befehligte
Die Geschichte von Ypsomed gehört zu den erstaunlichsten der Schweizer Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten. Mit Mut, Geschick und Unternehmergeist stieg der Michel-Clan zu einer der reichsten Familien des Landes auf. Als Mehrheitsaktionärin der börsennotierten Ypsomed wird ihr Vermögen auf 3,5 Milliarden Franken geschätzt – Tendenz steigend. Allein in diesem Jahr hat die Aktie um 45 Prozent zugelegt. Dabei zeigt sich die Firma spendabel. Der Betrieb baut in Solothurn für fünfzehn Millionen Franken ein Konferenz- und Kulturzentrum mit dem Namen «Ypsomed Forum» und will es der Stadt für öffentliche Anlässe zur Verfügung stellen. «Wir wollen mit dem Forum der Stadt und der Bevölkerung von Solothurn etwas zurückgeben», erklärt Michel. Den Sprung in den Milliardärsklub schaffte Simon Michels Vater Willy Michel vor 21 Jahren. Er verkaufte 2003 die damalige Disetronic für 1,6 Milliarden Franken an den Pharmakonzern Roche und gründete Ypsomed, zusammengesetzt aus dem lateinischen Wort «ipso» für «selbst» und «med» für «Medikation». Mit dem Reichtum kamen die Annehmlichkeiten. Im Jahr 2000 ersteigerte der heute 77-jährige Patron das geschichtsträchtige Schloss Gümligen. Von diesem Landsitz in Muri bei Bern aus befehligte General Henri Guisan während des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 1941 seine Truppen. Michel liess das Gebäude renovieren und zu seinem Wohnsitz ausbauen. Die 59 Meter lange Jacht «Vive la vie» gehört ebenso zum Familienbesitz wie ein Privatjet mit eigenem Hangar auf dem Flughafen Bern-Belp und Ferienhäuser auf Mallorca. Willy Michel hat sich auch als Kunstmäzen hervorgetan und erstellte für den 2022 verstorbenen Berner Maler und Grafiker Franz Gertsch ein Museum in Burgdorf. Vor zwei Jahren kündigte der Selfmade-Milliardär an kürzerzutreten und gab das Verwaltungsratspräsidium an Gilbert Achermann ab. Bereits 2014 wurde Sohn Simon Michel CEO des Konzerns; seit 2022 sitzt er zusätzlich im Aufsichtsgremium des Unternehmens. Für Kontinuität ist also gesorgt.
Journalisten lieben ihn
Schon Vater Willy Michel hat sich immer wieder zu politischen Fragen geäussert, gerne provokativ. Als der Franken 2016 gegenüber dem Euro an Wert gewann, erklärte der gebürtige Emmentaler: «Ich persönlich wäre dafür, den Schweizer Franken sofort abzuschaffen. Das würde alle Probleme lösen!» Ein andermal forderte er massiv tiefere Steuern für Unternehmen im Kanton Bern. Gleichzeitig liess er durchblicken, dass er sich unter gewissen Umständen die Einführung einer Erbschaftssteuer vorstellen könnte. Doch bei allem Interesse am Zeitgeschehen: Willy Michel strebte nie ein politisches Amt an. Anders sein Sohn. Simon Michel kündigte vor sieben Jahren überraschend an, für die FDP als Quereinsteiger für den wenig prestigeträchtigen Solothurner Kantonsrat zu kandidieren. Der prominente Bewerber wurde gewählt; 2023 folgte der Sprung in den Nationalrat. Zehn Monate und drei Sessionen haben dem Unternehmer gereicht, um ein Volksvertreter zu werden, an dem weder die eigene Partei noch die Konkurrenz vorbeikommt. Die Journalisten lieben den eloquenten Neuling, der präzise antwortet und klare Botschaften vermittelt. Seine Aussagen erregen Aufsehen. Den Ausbau der Armee will der Unternehmer mit vorübergehend höheren Unternehmenssteuern finanzieren. Bei der Erbschaftsinitiative der Juso warnt er vor «Enteignung», dem Parlament wirft er mangelnden «Sparwillen» vor.
Auf die Frage, warum es ihn in die Politik gezogen habe, sagt er: «Wer in der Schweiz mitbestimmen will, muss sich politisch engagieren. Hier im Bundeshaus werden die Entscheidungen getroffen. Deshalb wollte ich im Nationalrat mitreden und mitentscheiden.» Gleichzeitig räumt er ein, dass man für dieses Amt ein «Opfer» bringen müsse. «Ich verzichte auf vieles – gehe nie ins Kino oder an Sportanlässe, und meine Familie und ich müssen ehrlich gesagt unsere gemeinsame Zeit auch mit Terminen planen.» Es sei ihm aber wichtig aufzuzeigen, dass man verschiedene Dinge unter einen Hut bringen kann. «Ich sehe mich hier durchaus als Vorbild für Jüngere.» In seiner Partei engagiert er sich nach Kräften. Er verpasst keine Sitzung und versucht sich einzubringen. Zusammen mit dem Luzerner Ständerat Damian Müller organisiert er für die freisinnige Bundeshausfraktion Informationspodien mit Experten zur Europapolitik. «Es ist wichtig, dass sich unsere Leute aus erster Hand informieren können», sagt er. Überhaupt ist die Frage, wie die Schweiz ihr Verhältnis zur EU gestalten soll, sein Steckenpferd. Grund dafür sind die Erfahrungen, die er mit seiner Firma Ypsomed gemacht hat. Als Strafe für die Weigerung, ein Rahmenabkommen zu unterzeichnen, hat Brüssel beschlossen, die Schweizer Medtech-Branche – 71 000 Beschäftigte, 23 Milliarden Franken Umsatz – wie Unternehmen aus einem Drittstaat zu behandeln. Das bedeutet, dass Firmen wie Ypsomed alle ihre Produkte neu zertifizieren lassen müssen. «Kommt es zu keiner Einigung mit Brüssel, droht dieses Szenario auch anderen Branchen», so Michel. Medtech- Firmen erzielten hohe Margen, deshalb habe man sich auf die neue Situation einrichten können. «Andere Wirtschaftszweige werden grössere Probleme bekommen als wir», ist sich Michel sicher.
Strengere Asylpolitik
Während Michel im Ringen um das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel zum grossen Gegner der SVP wird, gehört er bei anderen Themen zu deren Verbündeten. Das dürfte sich nächste Woche bei der Sondersession zum Asylwesen zeigen. Die SVP hat eine Reihe von Vorstössen eingereicht, die den Asylmissbrauch einschränken und die Flüchtlingspolitik verschärfen sollen. In der Vergangenheit war es immer so, dass eine Mehrheit der Freisinnigen die Anliegen von Seiten der Volkspartei ablehnte. Dieses Mal soll es anders sein. Michel: «Ich rechne damit, dass wir mit wenigen Ausnahmen den Ideen der SVP Folge leisten werden.» Der Unternehmer will das Verhältnis zur SVP entkrampfen und gleichzeitig die FDP wieder wie früher als Wirtschaftspartei positionieren. «Wir waren in jüngster Zeit einmal etwas nachhaltig, dann wieder etwas sozial. Gewonnen haben wir damit wenig. Ich glaube, die FDP wird wieder erfolgreich sein, wenn sie sich klar als Wirtschaftspartei positioniert, wie in meiner Jugend, als Partei, die für Rahmenbedingungen kämpft, welche Unternehmen prosperieren lassen und damit das Bruttoinlandprodukt pro Kopf gesteigert werden kann.» Mission Erfolg. In seinem Unternehmen hat es mehr als funktioniert. Ob auch für die FDP, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Der Start scheint auf jeden Fall geglückt.