«Der Bundesrat sollte Trump anbieten, 100 Milliarden Dollar in den USA zu investieren»
6. April 2025, Tagesanzeiger, Adrian Schmid, Mischa Aebi
Simon Michel, Ypsomed-Chef und Nationalrat der Freisinnigen, kritisiert seine Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Er fordert wegen der US-Zölle die sofortige Kontaktaufnahme mit dem US-Präsidenten.

Bildquelle: Beat Mathys
Simon Michel ist neben Magdalena Martullo-Blocher der wichtigste Unternehmer im Bundesparlament. Der Chef des Medizinaltechnik-Konzerns Ypsomed warnt, die US-Zölle könnten dramatische Folgen haben. Michel sitzt auch im Vorstand des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse.
In der Europafrage ist der FDP-Nationalrat der grosse Gegenspieler der SVP und der Familie Blocher: Michel kämpft an vorderster Front für die Erneuerung der Verträge mit der EU. Zynischerweise spielt ihm Donald Trump in der Europafrage nun in die Hände, wie er selber sagt.
Herr Michel, jetzt hat Trump auch Megazölle für die Pharma-Industrie angekündigt. Droht eine weltweite Katastrophe?
Eine globale Rezession ist möglich. Und das wäre dramatisch. Dies hätte rasch steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge. Das würde auch an der Schweiz nicht spurlos vorbeigehen. Pharma-Zölle wären nicht nur für Konzerne wie Novartis und Roche eine Herausforderung, sondern auch für das Land.
Was hat die Schweiz falsch gemacht, dass Trump uns sogar härter bestraft als die EU?
Vorerst ein Lob: Staatssekretärin Helene Budliger hat einen guten Job gemacht. Sie war im März als eine der Ersten in Washington und konnte dort aufzeigen, wie wichtig die Schweiz für die USA ist. Die Kontakte, die sie geknüpft hat, werden noch eine grosse Hilfe sein.
Wirklich? Sie hat den Zoll-Hammer ja auch nicht abwehren können.
Das Problem ist, dass Budligers Gesprächspartner, der Stabschef des Handelsbeauftragten, in der Hierarchie zwei Stufen unter Trump ist. Ihre Informationen drangen in der kurzen Zeit nicht bis ins Oval Office. Dafür hätte man früher den Kontakt zu Trump suchen müssen. Das grösste Versäumnis ist, dass wir keine Beziehung auf oberster Ebene zu den USA haben.
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter sagte am Donnerstag, es habe bisher keinen Anlass gegeben, um mit Trump zu telefonieren.
Ich habe Mühe, das zu verstehen. Amerika ist doch viel wichtiger als das Budget fürs nächste Jahr. Die Bundespräsidentin muss unbedingt mit Trump in Kontakt treten. In Situationen wie jetzt muss die Kommunikation von Chef zu Chef erfolgen. Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni war schon im Januar bei Trump. Als Unternehmer stehe ich auch direkt mit den CEOs unserer Geschäftspartner in Kontakt. Wenn ich Bundespräsident wäre – nicht, dass ich Ambitionen hätte –, würde ich zuerst mit den Präsidentinnen und Präsidenten der zehn wichtigsten Länder essen gehen.
Hat auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin zu wenig getan?
Sein Seco-Team macht gute Arbeit. Trotzdem hätte er sich mehr einbringen müssen. Parmelin hätte sich genauso gut ins Flugzeug nach Washington setzen können. Bundesräte fliegen ja auch sonst ständig in der Welt herum. Selbst ein Treffen von einer halben Stunde hätte wertvoll sein können.
Hat der Bundesrat überhaupt noch eine Chance, Trumps Zölle zu verhindern?
Ja klar. Jetzt gilt: Alles daran setzen, um das Schlimmste abzuwenden – und zwar schnell.
Aber was hat die Schweiz überhaupt zu bieten? Wir haben ja kaum noch Zölle auf US-Produkten.
Dann muss die Schweiz auf anderer Ebene liefern, wie zum Beispiel beim Freihandelsabkommen mit Indien. 15 Jahre ging nichts, dann reiste Staatssekretärin Helene Budliger nach Delhi und bot Investitionen von 100 Milliarden und eine Million Jobs an. Das beeindruckte so sehr, dass das Kleingedruckte «über 30 Jahre» unterging. Die Inder griffen zu. Ein Jahr später hatten wir einen Deal.
Glauben Sie tatsächlich, Trump lässt sich ähnlich beeindrucken?
Ja, absolut. Schweizer Unternehmen investieren schon heute jährlich 15 bis 20 Milliarden Franken in den USA. Wir könnten Trump jetzt sagen: «Switzerland is going to invest 100 billion dollar during your second term.» Auf Deutsch: Der Bundesrat sollte Trump anbieten, ein 100 Milliarden Dollar in den USA zu investieren.
Über vier Jahre gerechnet wäre das gar nicht wesentlich mehr als bisher.
Klar, aber die Zahl klingt nach Weltmacht. Trump liebt so was. Und wir zeigen ihm: Wir investieren und glauben an Amerika.
Realistisch betrachtet: Ist die Schweiz für Trump nicht zu unbedeutend?
Im Gegenteil. Die Schweiz gehört zu den grössten Investoren in den USA. Wir sind die Nummer sieben. Und Trump ist ein Dealmaker. Er wird die 100 Milliarden als seinen persönlichen Erfolg verkaufen.
Glauben Sie denn, dass es realistisch ist, dass Karin Keller-Sutter Trump jetzt schnell anruft und ihm das Blaue vom Himmel verspricht?
Wie der Kontakt zustande kommt, ist zweitrangig. Aber er muss rasch erfolgen. Unsere innenpolitischen Sorgen wie die Finanzierung der AHV sind im Moment sekundär. Jetzt zählt nur der Deal. Eine Chance böte sich etwa an den IWF- und G20-Treffen Mitte Monat. Trumps Sohn hat es treffend gesagt: Wer zu spät kommt, kriegt keinen Deal mehr. Trump ist nur so lange an solchen Deals interessiert, wie das Thema virulent ist.
Und wenn der 100-Milliarden-Deal nicht zieht?
Dann haben wir noch eine Karte: die automatische Anerkennung von US-Gesundheitsprodukten in der Schweiz. Das würde amerikanischen Firmen den Marktzugang enorm erleichtern und wäre ein Novum in Europa. Die Gespräche laufen bereits, angestossen durch einen Vorstoss von FDP-Ständerat Damian Müller.
Auch das könnte scheitern, weil Trump ja die Zölle der Schweiz kritisiert. Müssten wir nicht doch die Agrarzölle opfern?
Nein. Die Landwirtschaft ist zwar der letzte Bereich, den wir noch mit Zöllen schützen. Aber ich glaube nicht, dass die USA auf ein paar Millionen Franken weniger Zoll auf Getreide, Wein oder Fleisch spekulieren. Die Zölle sind zwar für uns Konsumenten zu hoch, oft über 100 Prozent, zum Beispiel auf Entrecotes oder Hackfleisch. So sehr ich persönlich amerikanische Steaks mag, wirtschaftlich wäre es viel wichtiger, dass der Bundesrat herausfindet, was bei Trump zieht. Vielleicht hat er ja eigene Interessen in der Schweiz – Hotelbeteiligungen zum Beispiel.
Wie schlimm sind Trumps Zölle eigentlich für Ihr Unternehmen?
Ypsomed macht knapp 10 Prozent des Umsatzes in den USA, pro Jahr sind das rund 60 Millionen Franken. Der Zoll-Hammer schlägt bei uns aber nicht durch. Ich hoffe, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen.
Wie soll das gehen, wenn Trump selbst der Pharma-Branche, die Sie beliefern, hohe Zölle androht?
Wir produzieren Injektionsgeräte für die Verabreichung flüssiger Medikamente und verkaufen diese an Pharmaunternehmen weltweit. Viele unserer Kunden in Europa verbauen ihre Medikamentenspritzen in unsere Pens und liefern sie dann in die USA. Die Zölle gehen deshalb zu ihren Lasten. Bei den Direktexporten in die USA hilft uns die Abmachung, dass die Kunden die Ware bei uns in der Schweiz oder Deutschland abholen müssen. Das haben wir in den Verträgen so vereinbart. Die Zölle bezahlen also die Kunden.
Die Kosten steigen trotzdem. Ihre US-Kundschaft wird darunter leiden.
Sie haben recht. Wenn die Situation länger anhalten sollte, also mehrere Jahre, werden unsere Kunden sicherlich fordern, dass wir uns an den Zöllen beteiligen. Bis auf weiteres sagen wir unseren US-Kunden aber: «Don’t make your problem to our problem. It’s your President.»
Ein Ziel von Trump ist, dass ausländische Firmen vermehrt in den USA produzieren. Lenken Sie ein?
Wir haben schon vor zwei Jahren beschlossen, eine Produktionsstätte in North Carolina zu bauen. Die Eröffnung ist für Mitte 2027 geplant. Mit Trump und den Zöllen hatte das nichts zu tun. Wir wollen näher und schneller bei unseren Kunden sein. Zudem haben wir uns als Unternehmen verpflichtet, bis 2040 den CO2-Ausstoss auf netto null zu senken. Dabei spielt der Transport eine zentrale Rolle. Wir bauen deshalb auch in Deutschland und China neue Produktionsstätten.
Dann versuchen Sie jetzt auch vermehrt, neue Märkte ausserhalb der USA zu erschliessen?
So einfach ist das nicht. Die SVP behauptet beim Thema EU ständig, man könne genauso gut auf andere Regionen ausweichen. Das ist reiner Populismus. Wir exportieren mehr nach Baden-Württemberg als nach Indien. Wenn es so einfach wäre, andere Absatzmärkte zu erschliessen, hätte das die Schweizer Exportwirtschaft schon längst getan.
Apropos EU: Sie kämpfen enthusiastisch für die Erneuerung der bilateralen Verträge mit der EU. Trumps Zölle spielen Ihnen politisch in die Karten, oder?
So ist es. Trumps Politik zeigt, dass Amerika kein verlässlicher Partner ist. Selbst die SVP kann das nun nicht mehr ignorieren. Das hilft, die EU-Verhandlungen zu stabilisieren.
Sie klingen hämisch.
Nein, Genugtuung ist fehl am Platz. Aber ich habe stets gesagt: Die EU ist unsere Nachbarin und wichtigste Partnerin. Die SVP träumte vom Freihandel mit Amerika. Jetzt sehen wir, wohin diese Illusion führt. Wir leben mitten in Europa. Wer das ignoriert, handelt verantwortungslos.
Sollte die Schweiz die Verhandlungen mit der EU jetzt beschleunigen?
Nein, wir halten uns an den Zeitplan. Zuerst kommt die Abstimmung über die Kündigungsinitiative der SVP, danach das Referendum über das EU-Paket. Diese Reihenfolge ist logisch: Wird die 10-Millionen-Initiative angenommen, ist das EU-Paket hinfällig.
Aber bis zur Volksabstimmung ist es noch weit. Wie helfen Ihnen Trumps Zölle jetzt innenpolitisch?
Sie helfen, meine Partei zu überzeugen. Einige Skeptiker in der FDP sehen jetzt klarer, warum wir die EU-Verträge brauchen.
Sind Sie sicher, dass Sie die Kritiker in den eigenen Reihen mitnehmen können?
Es gibt Widerstand, vor allem aus dem Umfeld der Zürcher Sektion. Und es gibt durchaus berechtigte Kritik. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Delegiertenversammlung im Oktober mit grosser Mehrheit im Grundsatz zustimmt, die Verträge zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Wenn uns nicht einmal mehr Amerika will, sollten wir mit Europa Frieden schliessen.
Viele sorgen sich wegen der hohen Zuwanderungszahlen. Was antworten Sie?
Die Sorge ist berechtigt und wir dürfen sie nicht ignorieren. Die SVP bewirtschaftet das Thema geschickt, bietet aber keine Lösungen. Wer den Zuzug einfach stoppt, wird rasch merken, dass ohne ausländische Arbeitskräfte nichts mehr läuft: leere Restaurants, leere Spitäler, verfaulte Salatköpfe auf den Feldern. Die Initiative ist extrem wie jene der Juso, die mit einer neuen Erbschaftssteuer das Klima schützen will. Beide wollen etwas Gutes, schiessen aber mit populistischen Forderungen weit übers Ziel hinaus.
Die SVP tut wenigstens etwas. Was tun Sie gegen unkontrollierte Migration?
Wir tun viel. Aber wir müssen unterscheiden zwischen gewollter Arbeitsmigration aus der EU und Missbrauch im Asylbereich. Gegen zehntausend Türken und Marokkaner haben im letzten Jahr ohne grosse Aussicht auf Asyl ein Gesuch gestellt. Afghanen schicken ihre Frauen vor, um später die Familie nachzuholen. Ich verstehe den Anreiz, aber wir müssen härtere Regeln durchsetzen.
Was schlagen Sie konkret vor?
Schärfere Gesetze. Der Missbrauch beim Familiennachzug muss unterbunden werden, etwa bei Afghaninnen. Und die Verfahren für Leute aus Herkunftsländern ohne Aussicht auf Asyl, wie etwa Marokko, müssen deutlich beschleunigt werden.
Wie geht es mit der Privatfehde mit der Familie Blocher weiter? Sie haben die Frage aufgeworfen, ob Magdalena Martullo-Blocher wegen ihrer ablehnenden Haltung zur EU nicht besser aus den Wirtschaftsverbänden zurücktreten soll. Christoph Blocher hat Ihnen dann Gesprächsverweigerung und Wokeness vorgeworfen.
Zur Klarstellung: Ich schätze Magdalena Martullo sehr, ich habe keine Fehde mit ihr. In 90 Prozent der Fälle bin ich ähnlicher oder gleicher Meinung wie sie. In Sachen EU vertreten wir hingegen komplett andere Positionen. Ich habe nur die Frage aufgeworfen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass sie für Scienceindustries im Economiesuisse-Vorstand die Pharma- und Chemiebranche vertritt, obwohl sie anders als die Branche für eine Abschottung der Schweiz und eine Kündigung der bilateralen Verträge ist.